Viele Bürgergeld-Empfänger: Jetzt bringt die Union neuen Schutzstatus für Ukraine-Flüchtlinge ins Spiel - WELT (2024)

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Es vergeht kaum eine Gelegenheit, in der Politiker von CDU und CSU nicht den engen Schulterschluss demonstrieren – vor allem bei der Migrationspolitik. Aktuell sind die beiden Schwesterparteien bei diesem Thema allerdings eine Armlänge auf Abstand. Mindestens.

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Anlass ist die Forderung des CSU-Landesgruppenchefs im Bundestag, Alexander Dobrindt, Flüchtlinge aus der Ukraine, die nicht arbeiten wollen, in ihr Heimatland zurückzuschicken. In der CDU reichen die Reaktionen auf Dobrindts Vorstoß von vorsichtiger Zustimmung bis hin zu Kopfschütteln und harscher Entrüstung. „Platt“ sei der Plan, heißt es in Teilen der CDU, „populistisch“, „nicht umsetzbar“. Und eine „völlig unnötige Vorlage“ für die Ampel-Parteien. Die Union würde regelmäßig „von humanitärer Verantwortung sprechen und den russischen Kriegsgräueln“, und dann sollen „Menschen in ein Land geschickt werden, das gerade Schlachtfeld ist“, lautet die übereinstimmende Kritik mehrerer CDU-Bundestagsabgeordneten.

Ampel-Vertreter nutzten prompt ihre Chance. Kaum hatte Dobrindt seine Forderung in der „Bild am Sonntag“ aufgestellt, keilte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese zurück und erklärte, der Landesgruppenchef solle „sich schämen, Frauen und Kinder zurückzuschicken, die möglicherweise ihren Vater bereits an der Front verloren haben“.

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Dabei ist der Vorstoß von Dobrindt nicht neu. Und kein Alleingang. Die CSU hatte sich auf ihrer Winterklausur in Kloster Seeon bereits im Januar auf den Grundsatz „Arbeitsaufnahme oder Rückkehr in sichere Gebiete der West-Ukraine“ verständigt. Der Beschluss hatte damals keinerlei Aufmerksamkeit erregt. „Was uns selbst gewundert hat“, meint ein Christsozialer. „Vielleicht waren wir damit vor der Zeit.“

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Aber nun, wo sich abzeichnet, dass sich der Krieg in der Ukraine weiter hinziehen wird, die Kosten für die Flüchtlinge und Asylbewerber weiterhin Milliarden verschlingen – und das angesichts knapper Haushaltslage –, ist die Passage brisant. Und das umso mehr, als dass die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg näher rücken. Im Osten ist die Solidarität mit der Ukraine längst nicht so groß wie in Westdeutschland. Die Punkte Migration, Hilfen für Flüchtlinge, vor allem für Ukrainer, werden mit Sicherheit ein entscheidendes Thema im Wahlkampf. Dafür will Dobrindt die Union aufstellen.

Trotz der Kritik aus der CDU am CSU-Landesgruppenchef lässt die Unionsfraktion im Bundestag nach WELT-Informationen aber derzeit per Gutachten prüfen, ob es rechtlich möglich ist, ukrainischen Flüchtlingen künftig einen anderen Status zuzubilligen. Damit würden sie geringere Unterstützung erhalten als bisher als Bürgergeld-Empfänger. Das Gutachten soll nach Angaben aus Fraktionskreisen im August vorliegen.

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Dabei wollen die Unionsparteien nicht, dass Ukrainer generell den Status von Asylbewerbern bekommen. Denn das würde einen langen Prüfprozess nach sich ziehen, der die Kommunen belastet. Das Gutachten soll ein Zwischenschritt dafür sein, Ukrainern künftig einen neuen Status zwischen Asylbewerber und Bürgergeld-Empfängern verleihen zu können – mit einem geringeren Regelsatz, wie er derzeit für das Bürgergeld gilt. Die Entscheidung, Ukrainer in das Bürgergeld-System aufzunehmen, hatte CDU und CSU 2022 mitgetragen.

„Führt zu Unmut in unserer Bevölkerung“

Im Kern geht es bei dem Vorstoß Dobrindts und den Fraktionsgutachten darum, dass von den etwa 1,1 Millionen ukrainischen Flüchtlingen in Deutschland nur knapp ein Viertel einer Arbeit nachgeht. Das ist im europäischen Vergleich eine geringe Quote. In den Niederlanden, Großbritannien und Schweden arbeitet mindestens die Hälfte der ukrainischen Flüchtlinge, in Polen und Tschechien sind es rund zwei Drittel, in Dänemark mehr als drei Viertel.

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Gleichzeitig erhalten Ukrainer in Deutschland Bürgergeld – wie jeder bedürftige deutsche Staatsbürger. Das ist mehr Geld, als Geflüchtete nach dem sogenannten Asylbewerberleistungsgesetz bekommen. Zum Regelsatz von 563 Euro für einen Alleinstehenden kommen Wohngeld und Heizkostenzuschuss, insgesamt im Durchschnitt etwas mehr als 900 Euro pro Erwachsenem und Monat. Das ist außerdem deutlich mehr, als ukrainische Flüchtlinge in den meisten anderen Ländern Europas bekommen. Dobrindt nennt das Bürgergeld eine „Bremse für die Arbeitsaufnahme“. Er will die staatliche Hilfe reduzieren und Ukrainer, die arbeiten könnten, es aber nicht tun, in ihre Heimat zurückschicken. Deutsche müssten schließlich auch bei Verweigerung einer angemessenen Arbeit mit Sanktionen rechnen.

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Die CSU steht hinter Dobrindt, die CDU in Teilen nur, wenn es gegen das Prinzip Bürgergeld allgemein und im Speziellen für Ukrainer geht. „Ich rate uns dringend, den Bürgergeld-Bezug für Ukrainer auf den Prüfstand zu stellen. Zumal sie nie eingezahlt haben“, sagt CDU-Präsidiumsmitglied Julia Klöckner WELT. „Das führt zu Unmut in unserer Bevölkerung.“

Der Vizevorsitzende für Haushalt und Finanzen in der Unionsfraktion, Mathias Middelberg, meint: „Jedenfalls hat Alexander Dobrindt einen Punkt, wenn er die geringe Beschäftigungsquote der Geflüchteten aus der Ukraine thematisiert. Hier trifft der Vorwurf aber nicht die Ukrainer, sondern die Ampel-Regierung, die nichts tut, um mehr Bürgergeld-Empfänger in Arbeit zu bringen.“

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Der Plan, Ukrainer gegebenenfalls abzuschieben, stößt jedoch in der CDU überwiegend auf Kritik. „Ziel muss es sein, möglichst viele Ukrainer in Arbeit zu bringen. Ihnen mit Ausweisung zu drohen, ist da wenig hilfreich und passt auch nicht zu unserer Überzeugung, der Ukraine beizustehen“, sagt beispielsweise CDU-Präsidiumsmitglied Sebastian Lechner WELT. „Entscheidend ist, dass es genug Kitaplätze für arbeitswillige Mütter gibt, dass es schneller Plätze für Sprachkurse gibt, dass Berufsabschlüsse einfacher anerkannt werden, dass wir insgesamt die Bürokratie im Vorfeld einer Arbeitsaufnahme abbauen. Und dass es für die, die nicht wollen, obwohl sie könnten, Sanktionen beim Leistungsbezug gibt“, so Lechner, Chef der CDU in Niedersachsen.

Weiter als Dobrindt würde Junge-Union-Chef Johannes Winkel gehen – allerdings nur im Fall von Männern, die wehrfähig sind. „Es ist in Ordnung, wenn wir ukrainische Frauen mit ihren Kindern auch mit Sozialleistungen unterstützen“, sagt Winkel WELT. „Ukrainische Männer, die im wehrfähigen Alter sind, sollten in Deutschland gar keinen Schutzanspruch haben, sondern ihr Land verteidigen. Der Ukraine auf der einen Seite Waffen zu liefern, ihr aber gleichzeitig ihre eigenen Soldaten vorzuenthalten, ist geradezu zynisch.“

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Author: Barbera Armstrong

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