Im März 2023 verhängt das Amtsgericht Osnabrück einen Strafbefehl gegen einen Osnabrücker Bauingenieur. Er soll 3000 Euro zahlen, weil er Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, „bewusst und beabsichtigt“ in ihrer Ehre herabgesetzt habe. Weil er nicht zahlt, landet er am Ende im Knast. Was genau die Justiz an seiner Mail als strafwürdig erachtet hat, ist ihm bis heute unklar. Er hat das Gefühl, als verweigerten die Mächtigen den Austausch mit der Bevölkerung.
Unverändertes OriginalDie Mail vom Bauingenieur an Ministerpräsidentin Manuela Schwesig
Der Bauingenieur schreibt ihr daher eine Mail, deren Original wir hier unverändert wiedergeben:
Schwesigs Lug und Trug
Schwesig nennt Putin jetzt einen Kriegsverbrecher-und gibt Fehler zu
als Märchenerzählerin entlarvt.
Liebe Dame Schwesig, zu spät für sie.
Wir brauchen noch Frauen auf’m Bau.
Wäre das was für Sie!?
Da brauchen Sie nicht dummes Zeug den Menschen verkaufen.
Ich hoffe Sie freuen sich auf ihre neue Aufgaben auf’m Bau.
Wir freuen uns auf jeden Fall auf sie.
Wollen Sie wirklich, wie ich gehört habe, die Mordaktion von den bepissten Leuten in Moskau unterstützen.
Bauingenieur versteht Deutschlands Putin-Blindheit nicht
Am 17. April 2022 lässt ein Mann aus Osnabrück seinen Emotionen freien Lauf. Er ist aufgewühlt und verärgert. Russlands vollumfängliche Invasion in die Ukraine ist keine zwei Monate alt und hält weite Teile der Welt in Atem. Auch den Bauingenieur, der seit mehreren Jahren in Osnabrück lebt.
Er kann nicht verstehen, warum so viele in der Verantwortung stehende Politiker in Deutschland nicht wahrhaben wollten, wie es um die Persönlichkeit von Wladimir Putin und um sein Regime steht. So schildert es der Bauingenieur fast drei Jahre später in einem Besprechungszimmer der Neuen Osnabrücker Zeitung (noz).
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Ärger über Manuela Schwesig
Jeder, sagt er, habe vor 2022 schließlich sehen können, was Russland in Grosny und Aleppo angerichtet habe, wie es einen verdeckten Krieg in der Ukraine führte und wie Oppositionelle ausgeschaltet werden. Jeder, der es wollte, habe auch wissen können, dass Russland Rohstoffe als politisches Druckmittel nutze. „Spitzenpolitiker haben einen viel umfassenderen Zugang zu Informationen und Expertise. Ich frage mich, warum verantwortliche Politiker Faktoren derart bereitwillig ausblenden, die sich jedem interessierten Bürger erschließen“, sagt der Bauingenieur.
Dünnhäutige Reaktion
Sein Ärger richtet sich insbesondere gegen Manuela Schwesig. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern hatte bis zuletzt das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 vorangetrieben – entgegen vieler Warnungen und unter Nutzung von fragwürdigen Winkelzügen wie etwa der Klimastiftung.
Über Geschmack und Stil seiner Mail lässt sich streiten, fraglos. Das würde auch der Osnabrücker Bauingenieur nicht infrage stellen. Was er nicht sieht: An welcher Stelle sein Schreiben Manuela Schwesig in einer Art und Weise beleidigt, die eine Strafe rechtfertigt?
„Es liegt mir fern, Personen beleidigen zu wollen“, sagt er. „Keine Stelle meines Schreibens kann als Beleidigung verstanden werden.“ Der Strafbefehl selbst enthält keine näheren Angaben dazu, welche Worte strafwürdig sind. Bei der Staatsanwaltschaft und beim Amtsgericht habe er um Erklärung gebeten, sagt der Bauingenieur. Keine Antwort.
Will Politik Kritiker mundtot machen?
„Ich habe das Gefühl, als wollten Amtsgericht und Politik ein Exempel statuieren, um die Bevölkerung einzuschüchtern“, sagt der Mann.
Die noz-Redaktion, mit der der Nordurier eine Kooperation hat, kann nicht recherchieren, welches Wort oder welche Passage der Mail Staatsanwaltschaft und Amtsgericht als strafwürdig eingeschätzt haben. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft bestätigt, dass es den Strafbefehl gebe. Woran genau die Ermittlungsbehörde Anstoß genommen hat, das benennt sie nicht.
Auch der Straf- und Medienrechtler Michael Heghmanns kann den Sachverhalt nicht eindeutig aufklären. Heghmann lehrt an der Uni Münster. Seiner Einschätzung nach seien die Worte „Lug und Trug“ sowie „Märchenerzählerin“ am ehesten geeignet, Manuela Schwesig in ihrer Ehre zu verletzen.
Sind das die strafbewehrten Worte des Bauingenieurs?
Es sind Worte, die der Osnabrücker Bauingenieur aus einem redaktionellen Kommentar des Senders NTV übernommen hat. Unter der Überschrift „Schwesigs Lug und Trug“ hatte dort ein Journalist im Frühjahr 2022 scharfe Kritik an der Ministerpräsidentin geübt. Sie sei als „Märchenerzählerin“ entlarvt, heißt es dort.
Hat die Justiz den Mann aus Osnabrück dafür bestraft, dass er sich Worte und Einschätzungen zu eigen machte, die längst in der öffentlichen Debatte kursierten? So zumindest empfindet er es.
Strafrechtler: Fall im Graubereich
Der Rechtswissenschaftler Heghmanns verweist indes darauf, dass der Kontext einer Meinungsäußerung unterschiedliche Bewertungen zur Folge haben kann. „Eine Nachricht, die nur einen bestimmten Empfänger hat, ist nicht-öffentlich. Sie dient daher in aller Regel nicht der öffentlichen Meinungsbildung. Enthält sie verbale Angriffe, zielen diese wahrscheinlich vorrangig darauf, den Empfänger herabzusetzen. Das wäre ein Indiz für den Straftatbestand der Beleidigung“, erklärt er.
Das gelte umso mehr, wenn die Anschuldigung nicht nachvollziehbar begründet ist. Würde ein klarer Grund benannt, warum jemand etwa eine „Märchenerzählerin“ sein soll, könne diese Bezeichnung auch in einer privaten Nachricht zulässig sein.
Gerade für eine Spitzenpolitikerin könne der immanente Vorwurf der Lüge andernfalls eine handfeste Ehrabschneidung sein. Warum er zutreffen soll, ist für Heghmann im Schreiben des Bauingenieurs nicht ersichtlich. Allerdings sei denkbar, dass die Bezeichnung im Entstehungskontext der Mail verständlich und somit legitim sein könne. „Letztlich bewegen wir uns hier in einem Graubereich, der der Justiz gewisse Spielräume gibt. Wohl nicht jeder Richter wäre hier dem Strafantrag gefolgt“, sagt der Wissenschaftler.
Schwesig stellte zwei Tage später selbst Strafbefehl
Gestellt hat den Strafantrag ausweislich des Strafbefehls Manuela Schwesig selbst, zwei Tage nachdem der Bauingenieur die Mail verschickt hatte. Ein Sprecher ihrer Staatskanzlei erklärt, das Schreiben sei allgemein herabwürdigend und beleidigend. Besonders problematisch sei die Verbindung zu den „Mordaktionen“ des russischen Regimes. Daher habe die Ministerpräsidentin es zur Anzeige gebracht.
Staatsanwaltschaft und Amtsgericht Osnabrück folgen der Einschätzung aus Schwerin, im März 2023 ergeht gegen den Osnabrücker ein Strafbefehl. 30 Tagessätze soll er leisten oder andernfalls einen Monat in Haft.
Als Bauingenieur sei er oft im Land unterwegs, reise von Baustelle zu Baustelle, erklärt er. „Manchmal komme ich erst nach drei Wochen für ein paar Tage nach Hause.“ Berufliche und private Post stapele sich dann bisweilen. „Der Strafbefehl habe ich schlicht übersehen. Ich hätte ja auch nie im Leben damit gerechnet, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen nicht einfach einstellen würde“, sagt er.
Polizisten holen den Mann vom Fahrrad
Im Sommer 2023 ist er mit dem Rad in Lünen unterwegs, wo er eine Baustelle hat. Er gerät in eine Polizeikontrolle. Die Beamten überprüfen seine Personalien und stellen fest, dass es einen Haftbefehl gegen ihn gibt. Er landet in der JVA Dortmund, einen Monat sitzt er ab. Polizei und JVA hätten ihm verwehrt, die Geldstrafe zu zahlen, erklärt er. Verantwortlich für die Vollstreckung des Strafbefehls ist die Staatsanwaltschaft Osnabrück. Sie nennt keine Einzelheiten zu dem Vorgang, bestätigt lediglich: Die Haftstrafe wurde verbüßt.
Für den Bauingenieur ist der Vorgang ein Indiz dafür, dass Spitzenpolitiker in Deutschland Kritik immer öfter lieber kriminalisieren, als sich ihr zu stellen – parteiübergreifend. Er habe Schwesig weitere Mails geschrieben, in denen er sich erkläre. Im versöhnlichen Ton und mit der Bitte um Austausch. Eine Reaktion sei nicht erfolgt. An einem Austausch mit der Bevölkerung, glaubt er, seien die Spitzen der Politik offenbar nicht sonderlich interessiert.